Montag, 31. August 2009

Wie taucht der Pottwal (2) (physeter macrocephalus)

Wie taucht der Pottwal (2) (Physeter macrocephalus):

Der Pottwal ist das größte, rezente Raubtier und der größte Zahnwal. Ausgewachsene Weibchen sind ca. 14 m lang, ausgewachsene Männchen können 17 bis 20 m lang und 40 bis 70 t schwer werden. Pottwale leben in allen Ozeanen, die Männchen aber hauptsächlich vom 45. Breitengrad bis zur Packeisgrenze. Die Tauchgänge der Pottwale gehen bis in eine Tiefe von 3000 Metern. Sie erbeuten ihre Nahrung vermutlich als Lauerjäger. Dabei bewegen sie sich möglicherweise nur kurze Strecken horizontal, denn sie tauchen in der Regel in der Nähe der Abtauchstelle wieder auf.
1969 fand man vor Durban (Südafrika) einen gestrandeten Pottwal. Untersuchungen des Mageninhaltes ergaben, dass der Wal bodenlebende Haie (Scymnodon Sp.) gefressen hatte. Der Meeresboden dieser Region befindet sich aber in einer Tiefe von 3193 Metern. 1970 orteten amerikanische Wissenschaftler die Klicklaute eines Pottwals und berechneten mittels einer Triangulation die Tauchtiefe des Tieres, sie lag bei 2500 Metern. Extremtauchgänge sind unter den Potwalen eher selten. Die durchschnittliche Tauchtiefe liegt bei 600 bis 1000 Metern. 1955 hatte sich ein Pottwal zwischen Chile und Ecuador in einer Tiefe von 1113 Metern in ein Tiefseekabel verbissen und war dort verendet. Die Tauchzeit von Pottwalen liegt derzeit durchschnittlich bei 1 Stunde und 52 Minuten. Im Jahr 1983 wurde bei einer Zeitmessung in der Karibik die derzeit längste Tauchzeit für einen Pottwal mit 2 Stunden und 18 Minuten ermittelt. Allerdings tauchen junge Pottwale nur etwa 20 Minuten und Kälber gar nur 7 Minuten.
Um neue und genauere Erkenntnisse über das Tauchverhalten der Wale zu erlangen, wurden in den letzten Jahren von amerikanischen Wissenschaftlern an den Finnen und Rücken von Blauwalen, Delfinen und Pottwalen, Messinstrumente und Kameras angebracht.
Insbesondere Terrie Williams von der University of California in Santa Cruz hat dabei beeindruckende Erkenntnisse gewonnen. Diese Erkenntnisse betreffen neben dem Spermacetiorgan auch das Zusammenspiel der Anatomie von Lungen und Blutgefäßen mit den biochemischen Eigenschaften bestimmter O2- Speicherstoffe in Blut und Muskelgewebe. Darauf soll im folgenden genauer eingegangen werden:
Wenn ein Pottwal auf Tauchstation geht, gerät er unter immense Druckverhältnisse und das über einen sehr langen Zeitraum. Um diesen Tauchgang überleben zu können, vor allem auftauchen zu können ohne nennenswerte, stundenlange Dekompression, hat der Pottwal besondere Anpassungen.
Zunächst konnte festgestellt werden, dass die Lungen des Wals ab einer Tiefe von ca. 80 Metern kollabieren und die Restluft aus der Lunge in die oberen Atemwege gedrückt wird. Das hat zwei Vorteile. Einerseits kann nun der erhöhte Druck nicht die Luft in den Blutkreislauf drücken, was beim Auftauchen offenbar eine Gasembolie verhindert. Zum anderen würde Restluft in der Lunge auch einen zu hohen Auftrieb mit sich bringen, das ist bei besagter Situation nicht der Fall.
Vergleicht man die Atmung und den Lungenaufbau des Pottwals mit denen der Landsäugetiere, stellt man gravierende Unterschiede fest. Der Mensch tauscht beispielsweise nur 10 bis 15 % des Lungenvolumens bei einem Atemvorgang aus, Pottwale hingegen 90 % und das obwohl die Lungen bezogen auf die Körpergröße bei Pottwalen relativ klein sind. Das jedoch hat einen wichtigen Grund, denn der Wasserdruck wirkt sich wesentlich stärker auf Hohlräume als auf Festkörper aus. Bei Landsäugern enthalten lediglich die Luftröhre und die Bronchien verstärkende Knorpelringe. Bei Pottwalen jedoch finden sich diese Verstärkungen noch in den kleinsten Verästelungen der Bronchien. Auch im Lungengewebe und dessen Außenverkleidungen sind durch E. J. Slijper, Professor für Wirbeltieranatomie an der Universität Amsterdam, verstärkende Fasern nachgewiesen worden. Außerdem erwähnt Slijper 1958 erstmals ein Klappensystem, welches aus etwa vierzig hintereinander liegenden, in die Bronchien hinabreichenden Schleimhautfalten mit ringförmigen Muskelfasern besteht. Diese können den Bronchialraum durch Kontraktion völlig abschließen. So wird verhindert, dass Luft aus den weichen Alveolen in das starre Bronchialsystem gelangen kann. Es lassen sich aber nicht nur die Bronchien, sondern auch die Lungenbläschen (Alveolen) verschließen. So bewirken unzählige Klappen, Ventile, Versteifungen und Schließmuskel, dass dem Wal beim Tauchen, durch den hohen Wasserdruck, nicht alle Rippen brechen. Dieses System scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu der Notwendigkeit der vollständigen Lungenentleerung zu stehen. Schließlich soll ja durch das Klappensystem eine Entleerung der Alveolen mehr oder weniger verhindert werden. Technisch gesehen macht das allerdings Sinn. Der Wal taucht mit bis zu zwei Metern pro Sekunde ab. Der Druckabfall ist so immens. Möglicherweise bewirkt das Klappensystem die Aufrechterhaltung eines inneren Gegendrucks, der mit steigender Tauchtiefe und mit steigendem Außendruck langsam nachlässt, weil die Restluft in den Lungen über das Ventilsystem langsam und dosiert abgelassen wird, was unter Umständen durch kurze Druckausgleichstopps des Wals unterstützt wird. Ein Rückfluss der Luft ist nicht möglich, zumal die Lungen früher oder später doch kollabieren, beträgt doch das Gasvolumen in einhundert Metern Tiefe nur noch ein elftel des Volumens an der Oberfläche.
Um die Tauchzeit entscheidend zu verlängern, verbraucht der Wal seinen Sauerstoffvorrat im Gegensatz zu Landsäugern fast vollständig. Dazu wird der Atemreflex der Wale durch Sauerstoffmangel und nicht wie bei Landsäugern durch Kohlendioxydüberschuss ausgelöst. So ist die Sauerstoffausnutzung der Wale wesentlich besser, denn sie atmen nicht unverbrauchten Sauerstoff ab. Zudem ist bei Pottwalen die Sauerstoffsättigung im Hämoglobin erst bei 40 – 45 % erreicht, bei Landsäugetieren liegt der Wert bei 30 – 33 %. Die Sauerstoffbindung ist außerdem schneller als bei Landsäugetieren. Der Hämoglobingehalt im Blut der Pottwale liegt bei annähernd 15,8 g/ 100 ccm, bei Rindern liegt er bei ca. 12,4 g/ 100 ccm. Allerdings haben die Wale eine recht geringe Blutmenge, die bei nur ca. 3,9 % des Körpergewichtes liegt. Landsäuger kommen da schon auf ca. 13 % des Körpergewichtes. Somit kommt dem Walblut also neben der Sauerstoffspeicherung offenbar eine zweite Aufgabe zu, das ist der Sauerstofftransport. Der Wal transportiert mit seinem Hämoglobin im Blut jede Menge Sauerstoff zu den Muskeln, in denen es mit Hilfe von Myoglobin gespeichert wird. Der Myoglobingehalt im Muskelgewebe der Wale ist 5 bis 10 Mal höher als bei Säugern auf dem Land. Nach Slijper speichern Wale den Sauerstoff so zu 41 % im Hämoglobin des Blutes, zu 41 % im Myoglobin der Muskeln, zu 8 % in anderen Organen und zu 9 % in den Lungen. Menschen speichern den Sauerstoff zu 34 % in den Lungen und zu 13 % im Myoglobin. Pottwale können also einen bis zu 40 % höheren Sauerstoffvorrat zum Tauchen verwenden.
Ein weiteres Organ für Sauerstoffspeicherung und Druckausgleich ist das so genannte Wundernetz (rete mirabilis), ein netzartiges System aus feinen Blutgefäßen, im mit Fettzellen und Lymphgefäßen durchsetzten Bindegewebe. Das Wundernetz findet sich im Bereich von Brusthöhle, Hals, Wirbelsäule und Gehirn und hat das Aussehen eines Blutschwamms. Die Arterien des Netzes sind sehr muskulös und die Venen sind flexibel. So übernehmen letztere im technischen Sinne die Funktion eines Windkessels um Blutdruckschwankungen auszugleichen. Das ermöglicht eine bessere, konstantere Versorgung der Organe – zum Beispiel dem Gehirn – mit Blut und damit mit Sauerstoff. Das Wundernetz dient auch der Abgabe von Sauerstoff in das Fettgewebe, dieses ist ein hervorragender Sauerstoffspeicher. Wie der Übergang des Sauerstoffs in das Fettgewebe erfolgt, ist aber noch nicht geklärt. Letztlich kommen dem Wundernetz damit drei Aufgaben zu: Erstens dem Ausgleich von Druckschwankungen, zweitens als Sauerstoffspeicher und drittens als Füllmasse für Hohlräume.
Um dem Körper in der wichtigen Phase des Tauchens, der Jagd, genug Energie – also Sauerstoff – zur Verfügung zu stellen, muss der Wal bei anderen Tätigkeiten Energie sparen. In diesem Blog ist bereits über das Tauchen ohne Sauerstoffumsatz berichtet worden. Ob Pottwale tatsächlich völlig passiv abtauchen und aufsteigen, ist nicht vollständig erwiesen. Tatsächlich gibt es Mechanismen, die es dem Wal erlauben sich auch aktiv zu bewegen, ohne die Muskeln ausreichend mit Sauerstoff versorgen zu müssen. Dabei entsteht aber Milchsäure. Mit Hilfe von Venenschließmuskeln verhindern aber Pottwale, dass diese Milchsäure in die Blutbahn gerät. Erst beim Auftauchen werden die Venenschließmuskeln geöffnet, die Milchsäure gelangt in die Blutbahn, wird dort aber mit Hilfe von Sauerstoff abgebaut und es kommt nicht zu den bei Menschen als Muskelkater bekannten Muskelschmerzen. Ein weiteres wichtiges Organ ist das Spermacetiorgan (siehe in diesem Blog oben). Mit diesem hat der Wal quasi seine Tarierweste bei sich. Wichtig bleibt: ab 80 bis 100 Metern kollabieren die Lungen, es gibt keinen Gasaustausch mehr, aber das ist wie wir nun wissen auch nicht nötig.

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